Wir haben sehr viel Zeitaufwand in die Vorbereitungen gesteckt

Chiemsee Rund, Blaues Band, Hafen-Trophy, Sommerregatta, Feldwieser Langstrecke, Weitsee-Rennerts, Drei-Buchten-Törn: Sieben Regatten umfasst die Chiemseemeisterschaft. Sie zieht seit 2001 die Segler in ihren Bann und pro Wettfahrt sind 80 bis 120 Schiffe am Start. Für die Saison 2024 gab es einige Änderungen im Reglement. Stefan Hammermüller, der Vorsitzende des Chiemsee-Yardstick-Ausschuss, und Olaf Wittenberg, der Projektleiter der Chiemseemeisterschaft, erklären im Interview mit unserer Sportredaktion, warum diese nötig waren und ziehen eine erste Bilanz.

Was genau ist Ihre Aufgabe, Herr Hammermüller?

Stefan Hammermüller: Ich bin seit 2010 der Vorsitzende des Chiemsee-Yardstick-Ausschuss. In dieser Rolle organisiere ich die Abstimmungsrunden der einzelnen Sportwarte, die als Yardstick-Beauftragte der Vereine mit Fragen oder auch mit Vorschlägen kommen. Dort bewerten die Vereine dann die Anträge ihrer einzelnen Mitglieder und anhand von diesen werden dann die Yardstick-Zahlen festgelegt.

Können Sie bitte gleich mal den Begriff Yardstick (YST) erklären?

Stefan Hammermüller: Yardstick ist eine Zeitvergütung zwischen unterschiedlichen Booten, damit können diese gemeinsam eine Regatta segeln. Pro gesegelter Zeit gibt es eine Korrektur durch diesen Faktor. Aus der gesegelten Zeit wird dann eine berechnete Zeit. Die Vergütung funktioniert aber nur innerhalb eines sehr schmalen Bandes. Wir wollen innerhalb einer Gruppe nur fünf Punkte Differenz haben. Je größer nämlich die Abstände werden, desto ungerechter wird diese Vergütung. Sie kann dann nicht mehr funktionieren. Wir erarbeiten dann jedenfalls eine Yardstick-Tabelle. Für den Chiemsee werden in dieser 200 bis 300 Boote geführt. Das ist viel Arbeit für uns.

Das System macht den Eindruck, dass es sehr flexibel zu sein scheint?

Stefan Hammermüller: Ja, und das muss es auch sein! Denn die Segeltechnik entwickelt sich rasant weiter: Gennaker, Code-0 und ausgestellte Kopfbretter werden zum Beispiel häufiger. Neue Konstruktionen wie »Foils« müssen mit dem Geschwindigkeitspotenzial von Traditionsklassen wie der Chiemseeplätte verglichen und bewertet werden. Deshalb gibt es bei uns eine Gruppeneinteilung und auch immer wieder angepasste Yardstickzahlen.

Sie haben jetzt auch schon kurz die Gruppeneinteilung erwähnt. Warum hat man diese gemacht?

Stefan Hammermüller: Eine Jolle (Laser 1) oder Catamaran (A-Cat) sind für andere Bedingungen optimiert, als J80 (Sportyacht) oder Drachen und Schärenkreuzer (Kielyacht). Deshalb haben wir am Chiemsee, das ist ein Verdienst meines Vorgängers Martin Köhle, in das Yardstick-System auch eine Gruppenbildung nach Konstruktionsmerkmalen eingeführt. Für die Meisterschaft haben wir also Mehrrumpf-Boote, Sportyachten 1 und 2, Kielyachten 1 bis 3 und J80.

Also wurde das aus Fairness-Gründen so gemacht?

Stefan Hammermüller: Ja. Wir wollen, dass die Boote in einer Gruppe ungefähr gleich lang unterwegs sind. Damit haben sie einigermaßen die gleichen Chancen beim Wetter und bei Winddrehern.

Und was genau ist Ihre Aufgabe, Herr Wittenberg?

Olaf Wittenberg: Ich bin seit 2020 der Projektmanager der Chiemseemeisterschaft. Meine Aufgaben sind in erster Linie administrative, wie zum Beispiel die Terminierung der einzelnen Regatten in Abstimmung mit den veranstaltenden Vereinen, deren Auswertung im Rahmen der Chiemseemeisterschaft, die Abhaltung der Chiemseemeisterschaft-Sitzungen, die Organisation der Meisterfeier, die Sponsorensuche und alles weitere Organisatorische. Ebenso habe ich die Planung und die Durchführung der neuen Gruppeneinteilung in diesem Jahr gemacht.

Sind Sie dabei ehrenamtlich tätig?

Stefan Hammermüller: Ja, meine Arbeit ist ehrenamtlich.
Olaf Wittenberg: Ja, genauso wie meine Tätigkeit als 1. Vorsitzender im Segelverein.

Wie zufrieden sind sie mit der Saison 2024, Herr Wittenberg?

Olaf Wittenberg: Die Saison war sehr speziell – eben wegen der Yardstickzahlen-Überarbeitung und der neuen Gruppeneinteilung. Wir sind mit dieser Änderung dem Wunsch vieler Teilnehmer nachgekommen. Die Resonanz war durchaus positiv, wie die vielen E-Mails bestätigen. Somit bin ich mit der Saison 2024, was die Änderungen betrifft, sehr zufrieden.

Für die Saison 2024 hat der Yardstick-Ausschuss die Zahlen also komplett überarbeitet. Erklären Sie bitte, warum das nötig war.

Stefan Hammermüller: Der Chiemsee ist ein Schwachwindrevier. Deshalb gab es in der Vergangenheit berechtigt Korrekturen im Vergleich zum Deutschen Seglerverband (DSV, Anm. d. Red.) bei langsamen Schiffen mit einem kleinen Rigg, die statistisch sonst im Nachteil sind. Dann wurden aber auch »Boni« eingeführt, um mehr Starter in einzelnen Gruppen zu erreichen. Und so hat sich das System über Jahre hochgeschaukelt. Deshalb haben wir uns nun für einen Neustart entschieden.

Wie lange haben Sie am neuen System gearbeitet?

Stefan Hammermüller: Wir haben über drei Jahre Vorlauf gehabt und sehr viel Zeitaufwand in die Vorbereitung gesteckt – auch in die Unterlagen für die Segler. Wir haben zunächst Vorschläge gemacht, wie wir versuchen wollen, in den Gruppen die Referenzboote anzupassen. Dabei haben wir natürlich auch geschaut, was der DSV macht. Der DSV sagt aber auch klipp und klar: Revierlisten haben Vorrang vor den DSV-Zahlen.

Aus Ihrer Sicht ist das Yardstick-System also fair?

Stefan Hammermüller: Ja! Das System ist mittlerweile über Jahre hinweg ausgleichend unterwegs – und das bootsübergreifend. Ich fahre beispielsweise selbst aktiv bei der Chiemseemeisterschaft mit. Ich hatte dieses Jahr zwei oder drei Regatten mit Ausrutschern. Dort bin ich eben in Flautenlöchern hängengeblieben und das Feld wurde von hinten zusammengeschoben. Dafür hatte ich die Jahre zuvor auch mal nur erste Plätze. Das gleicht sich also immer wieder aus.
Trotzdem waren wohl nicht alle Segler mit der Neuerung einverstanden…
Stefan Hammermüller: Wenn ein Segler sagt, meine Zahl passt nicht, dann sagen wir: Bring uns Ergebnisse, dann schauen wir uns das an und achten dabei etwa auf Windstärke, Kurssetzung und auch, wie sind die anderen Boote gesegelt. In diese Zahl soll nämlich das Bootspotenzial und nicht die Leistung des Seglers rein. Aber bei den Ursachen fürs Verlieren ist »die falsche YST-Zahl« dann ein häufiges Argument – wie ein Buch der 1000 Ausreden.

Sie sind also für Kritik offen?

Stefan Hammermüller: Ich möchte klarstellen: Wir hören auch Kritikern zu! Aber der Segler muss sich in erster Linie erst einmal mit seinem eigenen Verein abstimmen und der kommt dann mit dem Antrag zu uns. Wir können nicht alle anderen stoppen, nur weil einer meint: Er muss immer Erster werden.

Verhalten sich denn Ihrer Meinung nach die einzelnen Segler immer fair?

Stefan Hammermüller: Als Organisatoren müssen wir von einem fairen Segeln ausgehen. Wir fordern auch immer alle auf, beispielsweise Änderungen am Segel umgehend zu melden, denn auch das ist wichtig! Wir haben dafür auch in der Tabelle eine eigene Spalte hinterlegt, um alles sauber und offen zu dokumentieren.

Also gibt es da durchaus auch mal Unstimmigkeiten unter den Seglern?

Stefan Hammermüller: Wir bekommen in diesem Zusammenhang immer mal wieder Mails mit Fotos und dem Hinweis, dass wir uns die Segel genau anschauen sollen. Wir gehen dem dann natürlich auch nach und bemühen uns, das immer diplomatisch zu lösen.

Und wenn das nicht möglich ist?

Stefan Hammermüller: Wenn sich ein Sportler unfair verhält, dann haben seine Konkurrenten durchaus auch noch andere Möglichkeiten: Entweder sie sprechen den Segler gezielt bei der Wettfahrt selber an oder sie können auch einen offiziellen Protest einlegen. Wenn es nachweislich ein Betrug ist, dann wird der Segler von offiziellen Veranstaltungen des Deutschen Seglerverbands gesperrt.

Eine spezielle Situation gibt es bei den Katamaranen. Warum ist das so?

Stefan Hammermüller: Die Katamarane sind gerade in den letzten 20 Jahren immer populärer geworden. Das Problem dabei ist: Es gibt beim DSV im Yardstick-System keinen Bezug zu den Katamaranen. Deswegen sitzen bei unseren Sitzungen auf Einladung auch Experten aus diesen Bootsklassen dabei. Die Kat-Segler geben sich untereinander eine Vergütung. Wir sagen: Wenn die Rennsegler so gegeneinander segeln wollen, dann ist es ihr eigenes System und wir akzeptieren das. Wir maßen uns nicht an, das zu korrigieren. Wir geben keine Punkte rauf oder runter.

Aber Kat-Segler sind bei der Chiemseemeisterschaft erwünscht, oder?

Stefan Hammermüller: Natürlich! Aber es muss klar sein, dass man einen Katamaran nicht mit einem Einrumpfboot vergleichen kann. Das funktioniert nicht. Allein schon die Konstruktionsbedingungen sind zu unterschiedlich. Wir möchten aber eine Struktur schaffen, bei der es auch den Kat-Seglern Spaß macht. Allerdings haben die Kat-Segler, die bisher mit verschiedenen Beschwerden zu uns gekommen sind, auch noch keinen Mechanismus gefunden, wie sie mit anderen Booten verglichen werden wollen.

Würde es denn eine Möglichkeit geben?

Stefan Hammermüller: Es gibt für Katamarane ein vergleichbares System zum Yardstick die sogenannte Texlliste. Sie ist unter den Kat-Seglern anerkannt. Es ist ein gutes Referenzsystem. Da kann man die Leistung dieser Katamarane vergleichen und es kommt ein ähnliches Punktesystem raus wie beim Yardstick-System.

Warum ist das System dann noch nicht übernommen worden?

Stefan Hammermüller: Die Entscheidung dazu muss von den Vereinen kommen. Gespräche dazu gab es. Dazu müssen im Vorfeld aber auch erstmal ein paar Fragen geklärt werden: Wer macht sich die Arbeit? Wer bereitet das so auf, dass wir das System integrieren können? Es müsste also eine Seite aufgebaut und auch gepflegt werden. Wir verlinken dann dorthin. Das kostet aber eben auch Zeit und Aufwand. Die Idee ist leider über die letzten Jahre trotz mehrerer Aufrufe von keinem aufgegriffen worden. Aber es wird immer sehr schnell kritisiert.

Wie äußert sich das?

Stefan Hammermüller: Wir bekommen E-Mails und Briefe – teilweise mit Beleidigungen. Einige nehmen das nicht sehr sportlich.

Macht Ihre Arbeit dann überhaupt noch Spaß?

Stefan Hammermüller: Grundsätzlich macht so was keinen Spaß. Aber das ist für mich oft keine sachliche oder konstruktive Rückmeldung. Ich sehe das dann so: Ich weiß von anderen Teilnehmern: Ich mache eine gute Arbeit, die geschätzt wird. Es gibt halt trotzdem einzelne, die das nicht gut finden. Das muss man dann halt aushalten, wenn man sich auf so eine Arbeit für andere einlässt. Mir macht das Segeln aber grundsätzlich viel Spaß, weil es für mich ein Mehrgenerationenprojekt ist. Mein Sohn fährt mittlerweile auf einem anderen Boot als Vorschoter mit. Ich selber bin als Steuermann schon Chiemseemeister geworden. Man gibt sein Wissen an die junge Generation weiter.

Uns ist auch zu Ohren gekommen, dass ganz viele Segler aufgehört haben, weil sie das System nicht gut finden. Würde Sie das so bestätigen?

Stefan Hammermüller: Man kann die Meldelisten über die letzten 20 Jahre anschauen. Es gibt da keinen dramatischen Einbruch. Aber natürlich ist der eine oder andere Segler nicht mehr dabei, weil er sich ungerecht behandelt fühlte.

Blicken wir bitte noch kurz auf die neue Saison voraus: Sind die aktuellen Yardstick-Zahlen in Stein gemeißelt?

Stefan Hammermüller: Nein! Es werden auch von uns Fehler gemacht – und wir sind immer bereit, diese schnellstmöglich zu korrigieren. Wir werden Ende des Jahres schauen, ob wir etwas anpassen müssen. Wir veröffentlichen übrigens auch die Korrekturen – das ist ein deutliches Zeichen für Transparenz.

Stephanie Brenninger